Lebenskreise schließen sich. Das gilt für Künstler genauso wie für alle anderen Erdbewohner. Mit seinem neuen Album „Switch“ schließt sich ein langer Kreislauf für den norwegischen Trompeter Nils Petter Molvaer. Mitte der achtziger Jahre machte er an der Seite der norwegischen Jazzpioniere Jon Christensen und Arild Andersen in der Band Masqualero auf sich aufmerksam, ein Jahrzehnt später schuf er mit seiner Band Khmer die Grundlage für die inzwischen typisch norwegische Symbiose aus Jazz und elektronischer Musik. Seither hat Molvaer in unzähligen Projekten immer wieder Neuland betreten, zuletzt 2013 im Duo mit dem Berliner Elektronik-Produzenten Moritz von Oswald auf der hypnotischen Ambient-CD „1/1“.
Molvaer findet auf jeder CD einen neuen musikalischen und narrativen Ansatz, doch der rote Faden, der sich durch sein Gesamtwerk zieht, ist die Suche nach der optimalen Balance zwischen Synthetischem und Organischem. Auf der neuen CD „Switch“ erreicht diese Suche einen neuen Kulminationspunkt. Einmal mehr hält sich der umtriebige Überzeugungstäter gleichzeitig in zwei Welten und auf mehreren Zeitebenen auf. Mit komplexen, teils elektronisch produzierten Sounds, manchmal aber auch akustisch elaborierten Klangwelten, die ungeheuer elektronisch klingen, bricht er in eine urban globalisierte Zukunft auf, während er sich mit dem Klang der Slide-Gitarre und seinen eigenen eher folkloristischen Improvisationen in ein kleines Dorf weitab der großen Metropolen zurückzieht.
Mit dem Pedal Steel Gitarristen Geir Sundstol, Pianist Morten Qvenild und Drummer Erland Dahlen hat Molvaer eine neue Band zusammengestellt. Die Slide Guitar nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. „Ich wusste von Anfang an, dass ich eine Slide-Gitarre einsetzen wollte“, erzählt der Trompeter voller Begeisterung. „Um ein Haar hätte ich mir sogar selbst so ein Instrument von dem bekannten norwegischen Gitarristen Stian Carstensen gekauft. Aber dann nahm alles einen anderen Lauf. Ich kenne Geir Sundstol schon seit vielen Jahren. Er ist einer der meist gefragten Musiker Norwegens und war wirklich heiß auf diese Zusammenarbeit. Als er zu spielen anfing, war ich sofort von seinem Sound verzaubert und wusste, dass ich dieses Album machen muss. Auf dieser Platte suche ich nicht so sehr nach meinen inneren Widerständen, wie das auf früheren Alben der Fall gewesen ist. Es geht mehr darum, für bestimmte Dinge die passende Verpackung zu finden. Die Platte ist friedlicher. Vielleicht liegt das an meinem Alter.“
In der Tat wirkt Molvaer auf „Switch“ ungewohnt entspannt. Bislang waren alle Alben des Norwegers von einer unüberwindbaren inneren Polarität zwischen einem extrem friedfertigen Menschen und einem radikalen Provokateur geprägt. Diese mentale Zerrissenheit nahm zuweilen schmerzhafte Züge an. Diesmal sucht der Trompeter nach anderen Kontrasten, aber die Haltung seiner Persönlichkeit steht viel mehr für eine homogene Einheit. „Auf dem Weg zu dieser Musik musste ich schon einige Kämpfe mit mir selbst ausfechten“, räumt Molvaer ein. „Am Ende der Aufnahmen hatten wir über 150 Minuten Musik, für die wir einen Fokus finden mussten.
Vor allem in den Titeln der Songs kommt ein Tribut an Joni Mitchell zum Ausdruck. Viele Titel sind direkte Anspielungen auf ihre Texte. Diese gedankliche Klammer war mir teilweise wichtiger als die melodischen Ansätze.“
Der kompositorische Bogen, den Molvaer mit seinen Stücken schlägt, erinnert nicht zuletzt an Pink Floyd. Wann immer man als Hörer in den musikalischen Prozess einsteigt, ist man sofort von der Tiefe und veränderlichen Farbenpracht seiner Welt umfangen. Da ist ein unendlich weiter Raum, der kein Entkommen duldet. Es ist fast egal, an welchem Punkt der CD man als Hörer den Einstieg in den musikalischen Kreislauf findet, die Musik funktioniert wie eine endlose Schleife ohne Anfang und Ende. Der Beginn der jeweiligen Stücke erscheint fast ebenso willkürlich wie Anfang und Abschluss der kompletten CD. So wie sich mit diesem Album ein Kreis in Molvaers eigener musikalischer Laufbahn schließt, so beschreibt auch die Musik selbst einen in sich geschlossenen Kreis.
Entscheidenden Anteil an dieser Anmutung hatte Erland Dahlen, der auf Molvaers vorletztem Album „Baboon Moon“ Schlagzeug spielte und auf „Switch“ nun zum allgegenwärtigen Multiinstrumentalisten aufgestiegen ist, dessen komplexe Klanglandschaften die Basis für den Gesamtsound der Band bilden. Dahlen begann seine Laufbahn in der kultisch verehrten norwegischen Rockband Madrugada, mauserte sich aber schnell zu einer Triebfeder der multistilistischen Jazzszene Skandinaviens. Molvaer kann den Input seines Drummers gar nicht hoch genug schätzen. „Für mich ist Erland extrem wichtig. Ich konnte ihn mit all seinen Geräten, Instrumenten und Spielsachen einfach ins Studio setzen und machen lassen, was immer ihm einfällt. Loslassen ist eine wesentliche Erfahrung auf dieser CD. Warum sollte ich einen solchen Multitasker nur auf eine einzige Funktion reduzieren? Er hat der Musik zu hundert Prozent seinen Stempel aufgedrückt.“
Mit Pianist Morten Qvenild von der Band In The Country hat Molvaer einen weiteren Star der aktuellen norwegischen Jazz-Gemeinde in seine Band geholt. Fünfter im Bunde ist Sound-Producer Jon Marius Aareskjold. Besetzung und Philosophie von „Switch“ erinnern entfernt an Molvaers erstes Solo-Album „Khmer“.
Ein bewusstes Zurückschalten in die Vergangenheit verbindet sich mit dieser CD jedoch nicht, denn „Switch“ ist alles andere als selbstreferenziell. Es ist viel mehr das selbstbewusste Statement eines begnadeten Klangmalers, der auf der logischen Umlaufbahn des Lebens zu sich selbst gefunden hat. Für Nils Petter Molvaer war es ein gewaltiger Schritt, die eigene Persönlichkeit aus der Vergangenheit abzuholen und mit neuer Energie in die Zukunft aufzubrechen.
Norway
Line Up:
Nils Petter Molvaer
_trumpet
Geir Sundstol
_pedal steel guitar
Jo Berger Myhre
_bass
Erland Dahlen
_drums
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