24.06.2019
Mit dem Trio-Projekt Mare Nostrum und der Pianistin Younee wird in Speyer das 20. Festival Palatia Jazz eröffnet
Von Dietrich Wappler
Zweimal melodischen Jazz gab es zum Auftakt der 20. Ausgabe von PalatiaJazz. In der Gedächtniskirche in Speyer spielten die Pianistin Younee als Solistin, gefolgt von Paolo Fresu, Richard Galliano und Jan Lundgren. Die drei gestandenen Männer stahlen mit ihrem Projekt Mare Nostrum der jungen Dame aus Südkorea dabei eindeutig die Schau, was nicht nur an deren Rückenproblemen lag.
„Mare Nostrum“, „unser Meer“, nannten die Römer das Mittelmeer, als sie die lästigen Karthager drüben auf der afrikanischen Seite endlich besiegt hatten. Mit imperialistischem Stolz hatte es nichts zu tun, als sich der aus Sardinien stammende Trompeter Paolo Fresu, der französische Akkordeonspieler Richard Galliano und der schwedische Pianist Jan Lundgren vor zwölf Jahren zusammentaten, um ihr Projekt Mare Nostrum zu starten. Der Titel hatte hier einen ganz persönlichen Grund. Alle drei stammen aus Küstenregionen: Fresu aus dem kleinen Weindorf Berchidda im Norden Sardiniens, Galliano aus Cannes an der französischen Riviera, Lundgren wuchs in dem südschwedischen Städtchen Ronneby an der Ostsee auf. In das Trio brachte jeder seine besondere Beziehung zum Meer ein, seine persönlichen Erinnerungen und natürlich seine Musik. Beim Konzert mit dem Programm des inzwischen dritten gemeinsamen Albums konnte man das wunderbar hören, am deutlichsten, wenn Lundgren und Fresu Volkslieder ihrer Heimat als melodischen Ausgangspunkt ihrer Stücke verwenden, oder Galliano Chanson und Musette anklingen lässt. Auch in den anderen Stücken kommen hier immer drei musikalische Zutaten zusammen: Lundgrens nordisch-versonnenes, manchmal geradezu spröde-elegisches Klavierspiel, Gallianos tänzerisch-heiteres Akkordeon und Fresus von einer bittersüßen Melancholie getragenes Spiel auf Trompete und Flügelhorn. Manchmal verströmt diese Musik eine geradezu schmerzhafte Schönheit wie der Blick auf eine abendliche Meeresküste. Heimatliebe wird hier zur Weltmusik, ganz selbstverständlich und ohne Etikett und nebenbei auch noch hochvirtuos.
Zur Atmosphäre in dem schönen neogotischen Kirchenraum mit seinen bunten Fenstern passte diese Musik perfekt. Und zur vom begeisterten Publikum heftig geforderten Zugabe improvisierten sich die Drei dann auch noch durch ein Stück von Claudio Monteverdi. Fresu erkundete dabei die akustischen Möglichkeiten in dem weitläufigen Kirchenraum, während Lundgren seine Klavierakkorde so vorsichtig setzte, als könne hier eine Andacht gestört werden, und Galliano vorführte, dass ein Akkordeon fast wie eine Kirchenorgel zu klingen vermag.
Vom Kirchenraum inspirieren ließ sich nach eigenem Bekunden zuvor auch Younee. Ihren Auftritt bestritt die Südkoreanerin durchweg mit ruhigen Improvisationen, Ausgangspunkt waren auch ein Thema von Georg Friedrich Händel und Musikwünsche und Stichworte aus dem Publikum. Da wurde dann das Thema von Ravels „Bolero“ swingend und mit schrägen Jazzakkorden variiert oder eine kurze Charakterstudie zu „Mom and Dad“ entwickelt. Oder es wurde eine pianistische Entsprechung gesucht zu einem Tag, der mit Regen beginnt und mit Abendsonne endet. Den Wunsch nach „Take Five“ wollte sie dann doch nicht erfüllen, weil sich das merkwürdigerweise alle Konzertbesucher wünschten, hat Younee festgestellt. Wer in einem Konzert Neues bieten möchte, der sollte lieber nicht das Publikum nach seinen Wünschen fragen.
In ihrem Spiel badet die grazile Pianistin geradezu in melodischem Wohlklang, deutet dabei durchaus virtuose Möglichkeiten an, scheut dann aber doch den Schritt heraus aus dem Erwartbaren. Man könnte sie irgendwo auf halbem Weg zwischen dem Improvisationsmeister Keith Jarrett und dem Wohlfühl-Therapeuten Ludovico Einaudi verorten, eine Musik ohne Kanten, die spontan zu gefallen weiß, aber ohne allzu viel Tiefe bleibt. Dass man in Speyer Younee nur von ihrer ruhigen, balladenhaften Seite kennenlernen konnte, in die sich auch die sanften Popsongs zwischendurch perfekt einreihten, hatte auch mit einem Rückenproblem zu tun, das sei hier nicht verschwiegen. Ansonsten spielt sie mit mehr Power und mischt der melodischen Verträumtheit kraftvolle Fortissimo-Attacken bei. Diesmal blieb es beim ruhigen Wohlklang und einer glücklichen Pianistin, die froh war, den Abend gut überstanden zu haben.
Ausgabe
Die Rheinpfalz - Nr. 143
Datum
Montag, den 24. Juni 2019