10.07.2017
Auf der Villa Ludwigshöhe lässt eine Allstar-Band die 100-jährige Geschichte des Genres bei einer Multimedia-Live-Show Revue passieren
Autor: Matthias Spindler (swm)
EDENKOBEN. Ha, wir leben noch! Wer so oft tot gesagt worden ist wie der Jazz, hat alles Recht, seinen Hundertsten zu feiern. Zumal die nicht unterzukriegende Vitalität dieser Musik sich künstlerische Anerkennung und gesellschaftliche Respektabilität hart erkämpfen musste. Haftet den Anfängen doch leicht Anrüchiges an, ob es die Bordelle des alten New Orleans waren oder etwas später von Gangstern betriebene Nachtlokale in Chicago, New York und Kansas City, die dem frühen Jazz eine Heimstatt boten.
Was für ein Kontrast zu einem heutigen Palatia-Jazz-Konzert, bei dem sich gutbürgerliches Publikum an einem der schönsten Plätze der Pfalz trifft. Unmittelbar neben dem bayerischen Königsschloss Villa Ludwigshöhe hoch über dem Weinstädtchen Edenkoben ist die Open-Air-Bühne aufgebaut. Auf ihr versammelt, zehn Mann stark, eine amerikanische Allstar-Formation um den Altsaxofonisten Vincent Herring, die in neunzig Minuten die gesamte Entwicklung des Jazz Revue passieren lässt.
Das geht nur in sehr geraffter Form, anhand ausgewählter Melodien, die vom ehrwürdigen "St. Louis Blues" bis zu Bobby McFerrins Hit-Lied "Don't Worry, Be Happy" reichen. Gespielt werden sie jeweils möglichst stilecht, in ansprechend ausgedachten Arrangements für die sechs Bläser der Tournee-Truppe; von ihnen freilich nicht immer fehlerfrei realisiert, und auch bei den Übergängen von Melodie zu Melodie hapert's manchmal - mangelte es an Zeit für die Proben?
Dazu läuft auf dem Hintergrund der Bühne eine Videoprojektion: Fotos und kurze Filmausschnitte von wichtigen Musikern der Jazzgeschichte, außerdem Abbildungen von Platten-Covers. Die sind ziemlich willkürlich ausgewählt, und fraglich ist auch, ob es Sinn macht, auf der stummen Leinwand einen sich die Seele aus dem Leib blasenden Trompeter Freddie Hubbard zu sehen, während auf der Bühne Jeremy Pelt zu hören ist, der vergleichsweise zurückhaltend ein Solo auf der Trompete bläst. Jon Faddis, der andere leibhaftig anwesende Trompeter, macht seinem Ruf als Höhen-Spezialist alle Ehre. Seine Soli beginnt er in Regionen, die fast alle seiner Kollegen nur mit Mühe erreichen. Und steigert sich dann noch, im wahrsten Sinne des Wortes.
Ähnlich das Verhältnis zwischen den beiden Tenorsaxofonisten der Gruppe: James Carter erweist sich einmal mehr als der vermutlich technisch beschlagenste Tenorist seiner Generation und besitzt darüber hinaus ein überschäumendes Temperament, das er gnadenlos ausspielt. Daneben hat es Eric Alexander denkbar schwer, sich mit seinem cooleren Naturell zu behaupten.
Aber solche mehr oder weniger freundschaftlich ausgetragenen Wettkämpfe sind dem Jazz ja keineswegs fremd, ebenso wie eine zuweilen spürbare Rivalität zwischen schwarzen und weißen Musikern. In der Hinsicht ist der Text zur Jazzgeschichte, den Nicolas Bearde als Conferencier des Abends vorträgt, erfreulich ausgewogen. Die darin als neuere Erscheinung vermerkte Öffnung des Jazz in Richtung Weltmusik wird allerdings von der Musik auf der Bühne nicht eingelöst. Die sieht die Welt des Jazz nach wie vor durch die US-amerikanische Brille
Quelle
© Mannheimer Morgen, Montag, 10.07.2017